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Einfaches Bestreiten des Inhalts einer Briefsendung bei nachgewiesenem Zugang nicht ausreichend

Landesarbeitsgericht Thüringen (LAG) vom 7. Dezember 2022 – 4 Sa 123/21

Kann der Zugang eines Briefes nachgewiesen und der Inhalt des Schreibens konkret dargelegt werden, muss die Gegenseite sich im Bestreitensfalle konkret zum angeblichen Inhalt äußern.

Sachverhalt

Eine seit fast 40 Jahren als Krankenschwester tätige Arbeitnehmerin hat ihren Arbeitgeber auf Zahlung einer Sonderjahreszahlung für das Jahr 2019 verklagt. Die Krankenschwester versandte am 23. April 2020 eine Briefsendung an ihren Arbeitgeber. Dies ließ sich einem Einlieferungsbeleg über die Aufgabe einer Briefsendung bei der Post entnehmen. Am 24. April 2020 nahm eine Mitarbeiterin der Arbeitgeberin die Briefsendung an. Zwischen der Krankenschwester und ihrem Arbeitgeber war streitig, welchen Inhalt die Briefsendung hatte. Die Krankenschwester behauptete, in der Briefsendung sei ein Schreiben gewesen, mit welchem sie ihren Arbeitgeber aufgefordert habe, mit der Mai-Abrechnung im Jahr 2020 die Sonderzahlung für 2019 auszuzahlen. Dies bestritt der Arbeitgeber und berief sich zudem auf die sechsmonatige tarifliche Ausschlussfrist nach § 37 Abs. 1 des für sie geltenden Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD). Das Arbeitsgericht Nordhausen gab der Klage der Krankenschwester statt. Der Arbeitgeber legte gegen die Entscheidung Berufung ein und rügte im Berufungsverfahren, dass er erstinstanzlich bestritten habe, ein Schreiben vom 23. April 2020 empfangen zu haben. Hierüber habe sich das Arbeitsgericht hinweggesetzt, indem es die Klägerin informatorisch angehört habe. Damit habe das Arbeitsgericht die grundsätzliche Beweisverteilung missachtet. Etwaiges Vorbringen der Krankenschwester sei lediglich Parteivortrag und entsprechend zu würdigen.

Entscheidung

Das LAG Thüringen bestätigte mit seinem Urteil vom 7. Dezember 2022 die erstinstanzliche Entscheidung. Die Krankenschwester hatte einen Anspruch auf Zahlung der Jahressonderzahlung aus § 20 TVöD. Das LAG war davon überzeugt, dass die Krankenschwester den Anspruch fristgemäß mit dem Schreiben vom 23. April 2020 geltend gemacht hat. Die Krankenschwester hat vorgetragen, sie habe das Schreiben in den unstreitig abgesendeten Briefumschlag gelegt und ihren Arbeitgeber zur Zahlung des 13. Monatsgehalts aufgefordert. Dies sei die übliche Ausdrucksweise gewesen. Zudem ergebe sich aus dem Übersendungszeitpunkt, dass es sich nur um die Geltendmachung der Jahressonderzahlung handeln konnte. Das einfache Bestreiten des Arbeitgebers, dass dies nicht der Inhalt der Briefsendung gewesen sei, ist nach Ansicht des LAG nicht ausreichend. Der Arbeitgeber hätte konkret zu dem Inhalt der Sendung vortragen und darlegen müssen, was sonst Inhalt der Briefsendung war. Dies gilt insbesondere, da der Brief von einer Mitarbeiterin geöffnet und der Inhalt entsprechend zu ihrer Kenntnis gelangt ist. Da der Arbeitgeber sich trotz erneuten Hinweises nicht konkret geäußert hat, bestand für die Kammer kein Anlass für Zweifel, dass der Vortrag der Krankenschwester zutreffend war.

Konsequenzen für die Praxis

Sofern der Nachweis des Zugangs eines Briefs erbracht werden kann und dessen Inhalt dargelegt wird, kann die Gegenseite dieses Vorbringen lediglich erschüttern, indem sie darlegt, welchen konkreten Inhalt die Sendung hatte.

Praxistipp

Bei dem Empfang von Arbeitnehmersendungen können Beweisprobleme im Voraus verhindert werden, indem arbeitgeberseitig Vermerke über den Inhalt jeder Sendung erstellt werden. Dies dürfte in der Praxis aber kaum umsetzbar sein. Da die vom LAG Thüringen aufgestellten Grundsätze auch auf Briefsendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer Anwendung finden, sollten Arbeitgeber darauf achten, dass sowohl der Zugang der Briefsendung (z.B. von Abmahnungen oder Kündigungen) als auch der Inhalt des übermittelten Schreibens nachweisbar sind. Bei Kündigungen empfiehlt sich etwa die persönliche Zustellung und die Erstellung eines Zustellprotokolls, in welchem auch der Inhalt des Schreibens vermerkt wird. So ist der Arbeitnehmer im Bestreitensfalle verpflichtet, darzulegen, dass die zugestellte Sendung kein Kündigungsschreiben, sondern ein konkretes anderes Schreiben beinhaltete.

Sabrina Miersen
Lisa Schrader

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Dokument auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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