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LAG Schleswig-Holstein: Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung nach Bewerbung über Ebay-Kleinanzeigen

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vom 21. Juni 2022 – 2 Sa 21/22

Ein Interessent, der sich via Chatfunktion auf eine über das Internetportal „Ebay-Kleinanzeigen“ veröffentlichte Stellenausschreibung bewirbt, erfüllt den Bewerberbegriff des § 6 Abs. 1 S. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Weder das mehrfache Nachfragen, ob das ausschreibende Unternehmen wirklich nur eine Frau suche, als auch der Umstand, dass für die vorgerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs ein „Formularschreiben“ genutzt wurde, begründen den arbeitgeberseitigen Einwand des Rechtsmissbrauchs. Denn beides sind keine hinreichenden Indizien dafür, dass eine Scheinbewerbung vorliegt, die ausschließlich darauf abzielt, nachträglich Entschädigungsansprüche zu fordern.

Sachverhalt

Ein Kleinbetrieb mit einer Kfz-Werkstatt hatte auf Ebay-Kleinanzeigen eine Stellenanzeige veröffentlicht. Die Anzeige lautete wörtlich wie folgt: „Sekretärin gesucht! Wir suchen eine Sekretärin ab sofort. Vollzeit/Teilzeit: Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen. …“. Daraufhin antwortete der Kläger dem Unternehmen via Chatfunktion und beschrieb in wenigen Sätzen seine Motivation für die ausgeschriebene Stelle. Dabei verwies er vor allem auf seine Berufserfahrung im Büro und stellte abschließend ausdrücklich klar, dass er sich auf die Stelle bewerbe. Außerdem fragte der Kläger explizit danach, ob ausschließlich eine Frau für die Stelle gesucht werde. Ebenfalls via Chatfunktion lehnte das Unternehmen die Bewerbung mit der Begründung ab, dass man eine „Dame für die Stelle als Sekretärin“ suche. Da sich der männliche Kläger durch die Ablehnung in seinem Geschlecht diskriminiert sah, nahm er das Unternehmen auf Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern in Anspruch. Das Unternehmen wies die Ansprüche zurück und vertrat die Ansicht, dass die Bewerbung nur auf eine Entschädigung abzielte und deshalb als rechtsmissbräuchlich einzuordnen sei.

Die Entscheidung

Während das Arbeitsgericht Elmshorn die Entschädigungsklage schon unter Hinweis auf die fehlende Bewerberstellung abwies und die Antwort des Bewerbers auf die Stellenanzeige mangels hinreichender persönlicher Informationen lediglich als „Kontaktaufnahme“ qualifizierte, gab das LAG Schleswig-Holstein dem Bewerber Recht. Der nach dem AGG erforderliche Bewerberstatus sei bei einer formlosen Bewerbung über die Chatfunktion bei Ebay-Kleinanzeigen gegeben. Denn wer eine Stellenanzeige untypischerweise über Ebay-Kleinanzeigen veröffentlicht, müsse damit rechnen, dass die entsprechende Bewerbung ebenfalls nicht klassischerweise schriftlich unter Beifügung ausführlicher Bewerbungsunterlagen erfolgt. Ein Mindestmaß an persönlichen Angaben sehe das Gesetz zudem nicht vor. Lediglich die Person des Bewerbers müsse identifizierbar sein. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers lehnte das LAG Schleswig-Holstein ab. Das mehrfache Nachfragen, ob das Unternehmen denn tatsächlich nur eine Frau als Sekretärin suche, sei kein ausreichendes Indiz dafür, dass der Bewerber sich mit dem alleinigen Ziel beworben habe, eine Entschädigung nach dem AGG geltend zu machen. Da der Interessent allein wegen seines Geschlechts abgelehnt wurde, könne eine Entschädigung verlangt werden.

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil schafft Rechtsklarheit zur Frage des Bewerberstatus im Bereich des Online-Recruitings und zeigt dabei, dass auch Kleinbetriebe für das Thema AGG sensibilisiert sein sollten. Es verdeutlicht, dass die Vorgaben des AGG auch bei Stellenanzeigen, die auf Online-Portalen und Digitalkanälen geschaltet werden, stets genau zu berücksichtigen sind. Das LAG Schleswig-Holstein stellt dabei unmissverständlich klar, dass bereits mit einer kurzen Online-Chatantwort zu einer Stellenanzeige das Einstellungsverfahren beginnen kann. Bewerber im Sinne des AGG ist folglich auch schon derjenige, der sich formlos über die Chatfunktion in wenigen Sätzen auf eine online ausgeschriebene Stelle bewirbt. Zudem bestätigt auch diese Entscheidung, welch hohen Hürden die Rechtsprechung an den Einwand des Rechtsmissbrauchs stellt. So müssen Umstände in der Regel konkret darauf hindeuten, dass die Klage des Bewerbers Teil eines systematischen „Geschäftsmodells“ ist. Soweit jedoch eine Möglichkeit besteht, dass der Bewerber tatsächlich ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der Stelle hat, liegen derartige Umstände nicht vor.

Praxistipp

Da immer mehr Unternehmen Online-Kanäle zum Zwecke des Recruitings nutzen (z.B. LinkedIn, Xing, WhatsApp), sollte bei Online-Stellenanzeigen beachtet werden, dass das Bewerbungsverfahren schon mit Eingang einer Chatnachricht beginnen kann. Dementsprechend sollten Personalverantwortliche bei einer arbeitgeberseitigen Chatantwort – genau wie bei der Online-Stellenanzeige selbst – stets darauf achten, den Bewerber nicht zu diskriminieren. Denn eine vorschnelle Chatantwort kann u.U. Entschädigungsansprüche nach dem AGG auslösen.

Jonas Türkis

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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Bewerbungsverfahren Stellenausschreibung ebay Kleinanzeigen Diskriminierung Recruiting