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EU-Klimagesetz und EU-Maßnahmenpaket für ein nachhaltiges Finanzwesen, u.a. mit deutlicher Ausweitung der nichtfinanziellen Berichterstattung

In der vergangenen Woche hat der US-Präsident Joe Biden mit dem Global Leaders Summit klar gemacht, dass sich auch die USA wieder stärker im Kampf gegen den Klimawandel engagieren wollen. Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen wies in ihrer Rede nicht nur auf den zu Beginn ihrer Amtszeit verkündeten European Green Deal hin, sondern auch auf die just-in-time erreichte Einigung zwischen dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament über das Europäische Klimagesetz. Denn eines der Kernelemente des European Green Deal ist das Ziel der EU, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Das Europäische Klimagesetz verpflichtet die EU zur Verwirklichung dieses Ziels sowie des Zwischenziels, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken (vgl. näher hier Vorläufige Einigung über das Europäische Klimagesetz (europa.eu)). Von der Leyen kündigte zudem an, dass die EU-Kommission im Juni Vorschläge vorlegen werde, um Europa „Fit für 55“ zu machen. Der Emissionshandel werde dann nicht nur für Energieerzeugung und Industrie, sondern auch für Verkehr und Gebäude gelten. Der CO2-Ausstoß müsse endlich einen Preis haben. Aber bei „Fit für 55“ gehe es nicht nur um Emissionen, sondern auch den Schutz der Natur und die Stärkung der Artenvielfalt.

Zugleich hat die EU-Kommission das sog. April-Pakte für ein nachhaltiges Finanzwesen 2021 vorgelegt. Dieses Maßnahmenpaket soll dazu beitragen, in der EU mehr Geld in nachhaltige Tätigkeiten zu lenken. Die Maßnahmen sollen Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen. Die Maßnahmen im Einzelnen:

Deutliche Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen geplant

Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für die Überarbeitung der Richtlinie über die nichtfinanzielle Unternehmensberichterstattung (Non-Financial Reporting Direktive, kurz NFRD) vorgelegt (COM/2021/189 final; der Entwurf findet sich hier). Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll hierdurch im Laufe der Zeit auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung gestellt werden.

Die bisherige NFRD ist durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz ins deutsche Recht umgesetzt worden (vgl. §§ 289b, 289c HGB). Zur sog. nichtfinanziellen Berichterstattung sind hiernach bis dato große kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen verpflichtet, die im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Nunmehr soll insbesondere folgendes geändert werden:

  • Neue Begrifflichkeit: Angesichts der Erkenntnis, dass die durch die NFRD erfassten ESG-Aspekt wertbeeinflussenden Charakter haben, soll die Richtlinie künftig einen anderen Namen tragen. Aus der nichtfinanziellen Berichterstattung wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Direktive, kurz CSRD).
  • Ausweitung der Berichtspflicht auf alle großen und/oder börsennotierten Unternehmen: Der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen soll deutlich von bislang EU-weit ca. 11.000 Unternehmen auf künftig fast 50.000 Unternehmen erweitert werden. Erfasst sein sollen alle großen Unternehmen sowie alle börsennotierten Unternehmen (mit Ausnahme börsennotierter Kleinst-Unternehmen). Als „groß“ gelten dabei alle Unternehmen, die mindestens zwei der nachfolgenden drei Kriterien überschreiten: EUR 20 Mio. Bilanzsumme; EUR 40 Mio. Umsatzerlöse; 250 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt (vgl. § 267 Abs. 3 HGB).
  • Umfassende Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie Einführung von EU Reporting-Standards: Künftig sollen berichtspflichtige Unternehmen sowohl solche Informationen in den Lagebericht aufnehmen, die notwendig sind, um die Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsbelange zu verstehen, als auch solche Informationen, die notwendig sind, um zu verstehen, wie Nachhaltigkeitsbelange die Entwicklung, Leistung und Position des Unternehmens beeinflussen. Als Nachhaltigkeitsbelange sollen dabei alle Nachhaltigkeitsfaktoren im Sinne von Art. 2 Nr. 24 der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Offenlegungs-VO) gelten. Das sind Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. Die EU-Kommission schlägt die Entwicklung von einheitlichen Reporting-Standards für große Unternehmen, von einfacheren Reporting-Standards für börsennotierte KMU sowie von freiwilligen Reporting-Standards für nicht-börsennotierte KMU vor. Mit der Entwicklung dieser Standards soll die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beauftragt werden.
  • Prüfungspflicht: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll künftig zwingend durch den Abschlussprüfer zu prüfen sein; bislang ist das freiwillig. Die EU-Kommission will dabei zunächst eine Prüfung mit limited assurance ausreichen lassen.

Der Entwurf der EU-Kommission bildet die Grundlage für die weiteren Verhandlungen mit dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament über einen finalen Gesetzgebungsentwurf. Der weitere zeitliche Verlauf ist noch ungewiss. Die EU-Kommission hofft, dass sie die Reporting-Standards bis Ende 2022 verabschieden kann, so dass sie erstmals im Jahr 2024 für die Berichterstattung über das Geschäftsjahr 2023 Anwendung finden würden. Nähere Informationen finden sich neben dem Richtlinien-Entwurf auch in der Pressemitteilung sowie insbesondere den Q&As der EU-Kommission.

In diesen Q&As weist die EU-Kommission zu Recht auf den folgenden Punkt hin, der unabhängig von der finalen Ausgestaltung der künftigen Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Inkrafttreten schon heute von Bedeutung ist: Viele Unternehmen – auch und gerade KMU – sehen sich mit wachsenden Anfragen nach Nachhaltigkeitsinformationen konfrontiert. Diese kommen typischerweise von Banken, die ihnen Geld leihen, und großen Unternehmen, die sie beliefern. Nach Einschätzung der EU-Kommission wird der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft wahrscheinlich bedeuten, dass das Sammeln und Teilen von Nachhaltigkeitsinformationen für Unternehmen aller Größenordnungen zur gängigen Geschäftspraxis werden wird.

Delegierte Verordnung zur EU-Taxonomie

Mit der EU-Taxonomie hat die EU im letzten Jahr ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen. Die Taxonomie soll ökologisch nachhaltige Investitionen erleichtern, indem sie für Unternehmen und Anleger gleichermaßen Transparenz gewährleistet. Die EU-Kommission verspricht sich davon, dass Anleger bei Investitionen in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten, die sich deutlich positiv auf Klima und Umwelt auswirken, künftig von der gleichen Grundlage ausgehen können. Die Taxonomie-VO ergänzt insbesondere auch die nichtfinanzielle Berichterstattung (künftig Nachhaltigkeitsberichterstattung) der Unternehmen sowie die nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten von Finanzmarktteilnehmern.

Nunmehr hat die EU-Kommission eine politische Einigung auch über einen delegierten Rechtsakt erzielt, mit dem der erste Teil der technischen Bewertungskriterien eingeführt wird. Anhand dieser Kriterien soll künftig bestimmt werden, welche Tätigkeiten wesentlich zur Erreichung der beiden ersten in der Taxonomie-Verordnung festgelegten Umweltziele beitragen, nämlich der Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutz. Diese Kriterien stützen sich auf wissenschaftliche Empfehlungen der Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen. Der Entwurf soll nach Vorliegen aller Übersetzungen im Mai formal beschlossen werden; danach wird er vom Europäischen Parlament und vom Rat geprüft. In Kraft treten soll er zum 1. Januar 2022.

Der delegierte Rechtsakt soll künftig laufend überprüft und ergänzt werden. Landwirtschaft und bestimmte Energiesektoren sind in dem delegierten Rechtsakt noch nicht berücksichtigt. Hierfür kündigt die EU-Kommission einen weiteren delegierten Rechtsakt für 2021 an. Auch für die weiteren in der Taxonomie genannten Umweltziele (die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie der Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme) will die EU-Kommission noch im Jahr 2021 einen entsprechenden delegierten Rechtsakt vorstellen.

Der EU-Kommission war es wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Taxonomie Marktteilnehmer in ihren Anlageentscheidungen unterstützen soll; ein Verbot von Investments in irgendwelche Aktivitäten enthält sie nicht Es gebe also keine rechtliche Verpflichtung für Unternehmen, sich Taxonomie-konform zu verhalten, noch für Anleger, nur in bestimmte Aktivitäten zu investieren.

Nähere Informationen einschließlich Links zu dem Entwurf sowie Q&A‘s finden sich hier.

Änderungen bzgl. Anlage- und Versicherungsberatung, treuhänderischen Pflichten und Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Anlage- und Versicherungsprodukten

Schließlich hat die EU-Kommission sechs Änderungsrechtsakte angenommen, mit denen das Finanzsystem „ermutigt“ werden soll, Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltigem Wirtschaften zu unterstützen und auch bereits bestehende, nachhaltige Unternehmen zu fördern. Zudem möchte die EU-Kommission den Kampf gegen das Greenwashing dadurch weiter stärken.

De facto handelt es sich offensichtlich um neue harte Pflichten für Finanzunternehmen. Durch die Änderungen soll sichergestellt werden, dass Finanzunternehmen, z. B. Berater, Vermögensverwalter oder Versicherer, Nachhaltigkeit in ihre Verfahren sowie in die Anlageberatung für ihre Kunden einbeziehen. Die EU-Kommission beschreibt dies in ihrer Pressemitteilung und den Q&As zusammenfassend wie folgt:

  • Anlage- und Versicherungsberatung: Wenn ein Berater die Eignung eines Kunden für eine bestimmte Anlage beurteilt, muss er künftig mit dem Kunden auch dessen Präferenzen in Bezug auf Nachhaltigkeit erörtern. Dies tritt zu den nach den geltenden Regelungen einzuholenden Informationen über die Anlagekenntnisse und -erfahrungen, die finanzielle Situation, die Fähigkeit, Verluste zu tragen, die Anlageziele und die Risikotoleranz eines Kunden hinzu.
  • Treuhänderische Pflichten: Mit den Änderungen werden die Pflichten eines Finanzunternehmens bei der Beurteilung der eigenen Nachhaltigkeitsrisiken (etwa der Auswirkung von Überschwemmungen auf den Wert der Investitionen, die Nachhaltigkeit des eigenen Geschäftsmodells..) klargestellt.
  • Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Anlage- und Versicherungsprodukten: Für Unternehmen, die Finanzprodukte auflegen, und für Finanzberater bedeutet dies, dass sie bei der Gestaltung ihrer Finanzprodukte Nachhaltigkeitserwägungen Rechnung tragen müssen.

Im Unterschied zur Offenlegungs-VO geht es bei den vorbezeichneten sechs Änderungsakten also nicht um Offenlegungspflichten, sondern um die Pflicht zur Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die internen Prozesse und die operative Tätigkeit. Die Einzelheiten sind noch näher zu analysieren. Der EU-Kommission war es jedoch wichtig, ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Kunde nach wie vor die ultimative Entscheidung darüber trifft, ob und inwieweit er Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen will.

Die EU-Kommission geht aktuell davon aus, dass die Änderungsrechtsakte etwa ab Oktober 2022 anzuwenden sein werden.

Ausblick

Für Juni sind bereits die nächsten Schritte der EU-Kommission in Sachen Nachhaltigkeit angekündigt. Neben den eingangs erwähnten Vorschlägen zur Erreichung des neuen CO2-Reduktionsziels ist dies insbesondere der Entwurf für ein EU-weites Lieferkettengesetz (aka Sorgfaltspflichtengesetz). Hierzu und zu dem Entwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz hatten wir in unserem Blog-Beitrag Lieferkettengesetz, RegE, FAQ und EU berichtet. Die regulatorischen Maßnahmen zur Unterstützung der Großen Transformation nehmen also weiter Gestalt an. Dabei zeigt sich einmal mehr der in jeder Hinsicht übergreifende Ansatz des Themas Nachhaltigkeit.

Dr. Daniel Walden

Dr. André Depping

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Klimawandel EU-Klimagesetz Klimagesetz EU-Recht Nachhaltigkeit Finanzwesen european green deal CSR

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