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Landgericht Düsseldorf richtet Spezialkammern für M&A Streitigkeiten ein - Eine echte Alternative zu Schiedsgerichten?

„Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt, wird einem wunderlich zu Mute“, sagte einst Heinrich Heine über seine Heimatstadt.

Das mag in Zukunft auch für so manchen in Nordrhein-Westfalen gelten, den die Sorge um einen Rechtstreit im Zusammenhang mit einem gerade getätigten Unternehmenskauf oder -verkauf umtreibt, denn: Im November letzten Jahres hat das Justizministerium der Landeshauptstadt alle in NRW anfallenden Streitigkeiten aus Unternehmenstransaktionen (Mergers & Acquisitions) der Landeshauptstadt „verordnet“. Solche Gerichtsverfahren, bei denen es um mindestens EUR 500.000,00 geht, verhandeln nun exklusiv die 24. Zivilkammer oder die 2. Handelskammer des Landgerichts.

Vorsitzender Richter beider Kammern ist Herr Dr. Papst. Der Jurist, Jahrgang 1972, trat 2004 in den Staatsdienst. Zuvor arbeitete er als Anwalt in Düsseldorf und London. Seine Mandanten vertrat er insbesondere in M&A-Streitigkeiten. Hierbei lernte er die Praxis an staatlichen Gerichten und an Schiedsgerichten kennen.

Daneben gehören der 24. Zivilkammer die ebenfalls in M&A-Gerichtsverfahren erfahrenen Richter Frau Dr. Benda und Herr Dr. Schmitz an. Bei der 2. Kammer für Handelssachen entscheiden zusammen mit Herrn Dr. Papst zwei von der Industrie- und Handelskammer als besonders kompetent angesehene und ausgewählte Kaufleute. Sie bringen ihre Erfahrung aus der Praxis in das Verfahren und schließlich in das Urteil ein. Aber nicht nur das in derlei Prozessen besonders erfahrene „Personal“ qualifiziert das Spezialgericht für M&A-Prozesse. Mit der immer weiter wachsenden Zahl an Auktionsverfahren ist der M&A-Markt internationaler geworden. Englische Standardformulierungen machen ausländischen Bieter ihr Angebot einfacher. So sind englischsprachige Unternehmenskaufverträge inzwischen die Regel. Deutschsprachige Verträge bilden hingegen mittlerweile die Ausnahme.

Daher akzeptiert die „M&A-Kammer“ englische Dokumente. Das ist vor deutschen Gerichten noch immer keine Selbstverständlichkeit. Bereits für kurze Passagen in fremder Sprache verlangt man regelmäßig eine beglaubigte Übersetzung. Alternativ weist der/die Richter:in rüde darauf hin, dass die Gerichtssprache laut Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ja schließlich Deutsch sei.

Nur bei Latein machen Juristen da eine Ausnahme. Der inzwischen emeritierte Professor Theodor Baums erklärte seinen Studenten in der ersten Vorlesung stets, dass Rechtswissenschaften und Theologie die am engsten verwandten Wissenschaften seien. Deswegen gilt bei Gericht der Grundsatz des bekannten Zisterzienserpaters Wallner OCist: „Ich gehe davon aus, Sie können Latein. Und wenn nein, wie können Sie leben?“ Bei den Spezialkammern lässt man die beteiligten Parteien wählen, ob sie sogar das gesamte Verfahren in Englisch führen möchten, allerdings steht Latein nicht zur Wahl.

Schon lange wird von der europäischen Rechtswissenschaft gefordert, den Kaufleuten für ihre internationalen Geschäfte englischsprachige Gerichtsverhandlungen zu ermöglichen. Hierauf haben die Justizbehörden reagiert. Das Landgericht Frankfurt ging hierauf bereits vor dem LG Düsseldorf ein und errichtete die Chamber for International Commercial Disputes. In den Niederlanden siedelte man den National Court of Commerce in der Welthandelsstadt Rotterdam an.

Auch allgemein wurden die Verfahrensabläufe und die Ausstattung der Justizbehörden modernisiert. Bereits 2013 hatte der Gesetzgeber Gerichtsverhandlungen oder Zeugenvernehmung über Videokonferenz zugelassen. Zu diesem Zeitpunkt dachte niemand an eine bevorstehende Corona-Pandemie. Die Pandemie machte die Umstellung auf Videokonferenzen notwendig – und dadurch überhaupt erst flächendeckend möglich. Die Beschaffung der Technik erfolgte so viel schneller. In der Praxis hat sich der Nutzen der Videoverhandlungen gezeigt. Sie werden den nachpandemischen Verfahren erhalten bleiben.

Ihre Berechtigung haben sie insbesondere in den Fällen, bei denen Zeugen im Ausland befragt werden müssen. Neben den ökonomischen und ökologischen Vorteilen ist eine Videokonferenz oftmals die einzige Möglichkeit, einen entscheidenden Zeugen zu hören. Sprachbarrieren können wie auch in einer Verhandlung im Gerichtssaal durch Simultandolmetscher überwunden werden, indem diese bei einer Videokonferenz hinzugeschaltet werden.

Daher braucht es faktisch keiner besonderen Erwähnung, dass vor der 24. Zivilkammer und der 2. Handelskammer in Düsseldorf auch Videoverhandlungen möglich sind. Für internationale Mandanten ist das ein weiteres wichtiges Argument. Nur wenn sich der Zeuge außerhalb von Europa befindet, ist eine Vernehmung durch ein deutsches Gericht noch immer unzulässig.

In diesen für M&A-Verfahren nicht untypische Fällen, sehen sich auch so frische Kammern wie die Düsseldorfer gezwungen, auf Altbewährtes zurückgreifen. Unterstützt vom Bundesamt für Justiz und vom konsularischen Dienst erfolgt die Vernehmung durch ein ausländisches Gericht. Das ist in vielen Staaten der Welt kein größeres Problem. Bis vor kurzem galt das auch für das ferne Russland.

Mit einem flexibleren Verfahrensablauf nähern sich die „ordentlichen Gerichte“, welche auch staatlichen Gerichten genannt werden, den Schiedsgerichten an. In einer ersten Konferenz (case management) bespricht man vorab den effektivsten Ablauf. Beweisaufnahmen und Sitzungen können dabei an aufeinanderfolgenden Tagen geplant werden.

Die Gerichtsverfahren bleiben auch in der zweiten Instanz in der sehr schönen Stadt Düsseldorf. Das neobarocke Oberlandesgericht liegt direkt an den Rheinwiesen und nur wenige Meter vom Düsseldorfer ADVANT Beiten Büro entfernt. Es ist kein Geheimnis, dass der Drang nach Innovation nicht der einzige Antrieb der staatlichen Gerichtsbarkeit für die Einführung von case-management-conferences über Video ist. Erinnert die gerichtliche Amtsstube den Besucher an preußische Zeiten. Federkiele und Tintenfass entdeckt man zwar nicht mehr, Akten werden dennoch bis heute im wörtlichen Sinn auf Frist oder Wiedervorlage gelegt, in dem man sie in ein mit Datumsangabe beschriftetes Regalfach stopft, nur um sie nachher wieder an einem sog. Aktenschwanz zum Vorschein zu bringen. Solch einen Workflow haben weder die Mandanten noch Kanzleien wie ADVANT Beiten. Nur aus nostalgischen Gründen erklärt man hier den Referendaren, dass man früher eine umfangreiche Akte „Gürteltier“ nannte, weil sie ein Gurt zusammenhalten musste oder wofür man den badischen Aktenknoten benötigt. Auch verliert der Ausruf im Gerichtssaal „…passen Sie auf, sonst wird der Aktendeckel rot!“ seinen dramatischen Effekt; denn nur noch wirklich forensisch erfahrene Prozessanwälte wissen, dass Zivilakten blau und Strafakten rot sind. Auf dem Laptop sehen sie doch alle gleich aus, aber dafür findet man sie auch hier in wenigen Sekunden und das ganz ohne „Aktenschwanz“.

Tatsächlich haben die Gerichte mit immer weiter sinkenden Fallzahlen zu kämpfen. So sank die Anzahl der neuen Fälle vor den Kammern für Handelssachen in der Zeit zwischen 1995 und 2013 um 45,7%. Immer wird der Rückgang mit einer angeblichen Abwanderung zu den privaten Schiedsinstitutionen (DIS, ICC, etc.) begründet; deswegen auch die Angleichung des Verfahrens vor den Spezialkammern an die Abläufe bei den Schiedsgerichten.

Haben sich die Parteien durch die Vereinbarung einer Schiedsklausel für die private Konkurrenz entschieden, so bleibt ihnen tatsächlich der Weg zu den staatlichen Gerichten gem. § 1032 I ZPO verschlossen. Ein deutsches Schiedsgericht urteilt dann genauso rechtskräftig wie das staatliche (§ 1055 ZPO). Aber auch ausländische Schiedssprüche werden von der Bundesrepublik als Unterzeichnerin des UN-Übereinkommens anerkannt. Schaut man sich die Zahlen jedoch genauer an, so stellt man fest, dass bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit im gesamten Jahr 2020 lediglich 165 Verfahren registriert wurden. Dabei zählt man die Sportschiedsverfahren bereits mit.

In deutschen Unternehmenskaufverträgen finden sich Schiedsklausel auch seltener, als man es als Praktiker erwarten würde. So gelten sie zumindest in internationalen Verträgen als der Königsweg. Eine namhafte Studie für das Jahr 2015 ergab, dass lediglich 52% der deutschen Unternehmenskaufverträge Schiedsklauseln aufwiesen. Die Anzahl sank weiter, als Investmentschiedsverfahren im Zusammenhang mit dem CETA-Abkommen kritisch diskutiert wurden. In Ländern in denen das Vertrauen in die staatlichen Gerichte nicht so hoch ist wie bei uns, sind Schiedsklauseln häufiger anzutreffen.

Im Allgemeinen haben die deutschen Gerichte im In- und Ausland gar keinen schlechten Ruf. International schafften sie es im Rule of Law Index 2015 zumindest auf Platz 5 der Weltrangliste. Die befragten Praktiker und Wissenschaftler lobten die leichte Zugänglichkeit des Gerichtssystems, die Qualität und Effizienz der Streitschlichtung und die recht niedrigen Kosten.

Häufig hört man, dass Schiedsverfahren teurer und daher unökonomischer als staatliche Gerichtsverfahren seien. Dies stimmt aber nicht generell. Der ökonomische Nutzen eines Gerichtsverfahrens hängt für die Parteien maßgeblich davon ab, wer am Ende die Kosten der Prozessführung zu zahlen hat. Das gilt für Gerichtskosten wie für die Anwaltshonorare. Die staatlichen Gerichte weisen der unterliegenden Partei nur die gesetzlichen Honorare und damit die vorgeschriebenen Mindesthonorare zu. Diese richten sich allein nach dem Streitwert. Die Komplexität und die Verfahrensdauer bleiben dabei unberücksichtigt. Schiedsgerichte berücksichtigen hingegen alle dieser drei Aspekte.

Als Argument für staatliche Gerichte wird die Rechtsfortbildung genannt, weil Schiedssprüche geheim seien. Aber auch das stimmt nur zum Teil. Bei weitem nicht alle Gerichtsurteile werden veröffentlicht. Schiedssprüche können und werden veröffentlicht, wenn die Parteien zustimmen. Die staatlichen Gerichte sind in ihrer Entscheidung frei und nicht an die Rechtsprechung anderer gebunden. Manch ein Richter schätzt auch seine eigene Rechtsauffassung mehr, als die des Bundesgerichtshofs. Es ist auch nicht gesagt, dass die Rechtsfrage in dem aktuellen Fall bereits höchstrichterlich entschieden wurde. Liegt noch keine Entscheidung vor, so ist der Weg zum Bundesgerichtshof lang und teuer. Am Ende ist es auch nicht sicher, ob der Bundesgerichtshof zu Gunsten der Partei entscheidet oder sich überhaupt mit dessen Frage befassen will.

In der Praxis beziehen Schiedsrichter in ihre Überlegungen die Entscheidungen der staatlichen Kollegen ein. Auch „ordentliche“ Richter befassen sich vor einem Urteil mit den Schiedssprüchen in ähnlich gelagerten Fällen. Auch ist es jedem selbst überlassen, ob er an der Rechtsfortbildung mitwirken möchte oder ob ihm die Entscheidung seiner eigenen Sache genügt.

Das Argument der Rechtsfortbildung ist somit bei der Wahl zwischen den Verfahren nicht entscheidend.
So kann man auch keine allgemeine Empfehlung geben. Aber eine Entscheidung sollte noch vor dem Vertragsschluss fallen oder, wie es im Jargon heißt, vor dem Signing. Die Entscheidung zwischen Schiedsklausel oder Gerichtsstandsvereinbarung wird bei Verträgen häufig unter ferner liefen behandelt. In der allgemeinen Euphorie des Vertragsschlusses und angesichts des bevorstehenden Closing-Dinners schenkt man ihnen keine Aufmerksamkeit. Erst beim Streit über Dinge wie Bilanzgarantien, Earn-Out-Klauseln kommt das Erwachen.

Das Gesetz gibt Kaufleuten die Freiheit, ihre Angelegenheiten und somit auch ihre Streitigkeiten selbst zu regeln. Die M&A Kammern in Düsseldorf stehen damit nicht nur den Unternehmen in NRW zur Verfügung. Sie sind eine spannende Alternative nicht nur zu den Schiedsgerichten, sondern auch zu den anderen deutschen oder vielmehr internationalen Gerichten. Bei der Gestaltung der Verträge oder im Streitfall müssen die Parteien Vor- und Nachteile abwägen.

Erst die Zeit wird zeigen, ob sich das neue Angebot des Düsseldorfer Landgerichts zu einer Erfolgsstory entwickelt. Bei der nächsten Kammerversammlung wird Herr Dr. Papst den Anwälten von seinen ersten Erfahrungen berichten, man darf gespannt sein.

Jan Dwornig

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Dokument auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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