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Mindestanforderungen an Erstangebote im Verhandlungsverfahren

Mit einem Dauerbrenner hatte sich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf vor kurzem zu beschäftigen: Es ging um die Festlegung von Mindestanforderungen an die Angebote durch den öffentlichen Auftraggeber und den Umgang der Bieter mit solchen Mindestanforderungen. Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Verantwortung für die Einhaltung von Mindestanforderungen allein beim Bieter liegt. Hierzu ist erforderlichenfalls die Leistungsbeschreibung aus der Sicht eines verständigen und sachkundigen Bieters auszulegen. Im Verhandlungsverfahren ist der öffentliche Auftraggeber nicht dazu verpflichtet, schon für die Erstangebote Mindestanforderungen in den Vergabeunterlagen festzusetzen. Er kann dies aber tun.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin, die Bundesrepublik Deutschland, schrieb Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken europaweit aus. Die Vergabeunterlagen sahen Mindestanforderungen an die Angebote vor. Als Mindestanforderung an die Leistungserbringung stellte die Antragsgegnerin Anforderungen in räumlicher und baulicher Hinsicht an die Anlage zum Anbau von Cannabis sowie Anforderungen an das Personal, das Qualitätssicherungssystem und Maßnahmen zur Verhinderung einer unzulässigen Nutzung des Cannabis. Die Bewerbungsbedingungen regelten, dass im Rahmen der Verhandlung über den gesamten Inhalt der Leistungsbeschreibung und alle Vertragsinhalte verhandelt werden sollte (nicht jedoch über die Zuschlagskriterien). Außerdem behielt sich die Antragsgegnerin vor, über alle Inhalte der Leistungsbeschreibung zu verhandeln, auch soweit sie in den Vergabeunterlagen derzeit als „Mindestbedingungen“ bezeichnet waren.

Die Antragstellerin rügte, der Vorbehalt, wonach die Antragsgegnerin auch über Mindestanforderungen verhandeln wolle, sei vergaberechtswidrig und verstoße gegen § 17 Abs. 10 VgV. Zumindest seien die Vergabeunterlagen in diesem Punkt aber widersprüchlich und unklar.

Der Nachprüfungsantrag hatte im Hinblick auf diese Rügen keinen Erfolg (im Hinblick auf andere Rügen hingegen schon; VK Bund, 13.11.2017, VK 1-117/17); hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht Düsseldorf weist die sofortige Beschwerde zurück (OLG Düsseldorf vom 28.3.2018, Verg 54/17). Dabei macht das Gericht ein paar interessante Bemerkungen zum Umgang mit Mindestanforderungen.

Zum einen bestätigt das OLG Düsseldorf die allgemeine Auffassung in der Rechtsprechung, wonach der Bieter allein dafür verantwortlich ist, dass sein Angebot die aufgestellten Mindestanforderungen einhält. Dies gilt ausdrücklich auch im Verhandlungsverfahren. Mindestanforderungen müssen die Bieter daher immer ernst nehmen. Verhandlungen über Mindestanforderungen sind allerdings unzulässig (§ 17 Abs. 10 S. 2 VgV). Hieran sollten sich Bieter insbesondere erinnern, wenn sie in der Vergangenheit mit Auftraggebern die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Angebote trotz Veränderungen an den Mindestanforderungen im Wettbewerb verblieben sind – hierauf haben Bieter keinen Anspruch. Zum anderen bekräftigt das OLG Düsseldorf, dass die Vergabeunterlagen niemals nur anhand ihres Wortlauts in einem Einzelpunkt, sondern aus der Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters im Zusammenhang auszulegen sind. Hier hatte die Antragsgegnerin zwar in der Leistungsbeschreibung die Überschrift „Mindestanforderungen an die Leistungserbringung“ verwendet und darunter auch tatsächlich solche Anforderungen beschrieben. Sie hatte sich aber zugleich ausdrücklich vorbehalten, auch über Inhalte der Leistungsbeschreibung zu verhandeln, die „derzeit als Mindestbedingungen“ bezeichnet waren. Bei seiner Auslegung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Antragsgegnerin hier nicht (rechtswidrig) auch über Mindestbedingungen verhandeln wollte, sondern dass es sich bei den in der Leistungsbeschreibung festgelegten Anforderungen trotz der verwendeten Überschrift nicht um Mindestbedingungen handelte. Aus Sicht eines verständigen Bieters seien im Erstangebot Abweichungen von diesen Anforderungen erlaubt gewesen und hätten Erstangebote nicht ausgeschlossen werden sollen, wenn sie von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung einschließlich der dort als Mindestanforderung gekennzeichneten Inhalte abwichen.

Schließlich sieht das Gericht keine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, im Verhandlungsverfahren Mindestanforderungen bereits an die Erstangebote festzulegen. Eine solche Verpflichtung ergebe sich nicht aus § 17 Abs. 10 VgV, der nur bestimme, dass Mindestanforderungen nicht verhandelt werden dürfen, wenn auch wirklich Mindestanforderungen aufgestellt sind. Auch aus der Verordnungsbegründung und der zugrundeliegenden EU-Richtlinie 2014/24 und deren Erwägungsgründen ergebe sich ein Zwang zur Festlegung von Mindestanforderungen bereits vor der ersten Verhandlungsrunde, also für die Erstangebote. Diese Regelungen ließen es vielmehr zu, dass Mindestbedingungen auch erst zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden können. Hier argumentiert das Gericht auch mit Sinn und Zweck des Verhandlungsverfahrens: Dort seien Verhandlungen über den ausgeschriebenen Leistungsgegenstand zulässig und erwünscht, in der Regel sogar notwendig. Zur Sicherung des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung der Bieter sei es nicht notwendig, bereits vor der Abgabe eines Erstangebotes Mindestanforderungen festzulegen. Von dieser Möglichkeit könne der öffentliche Auftraggeber auch noch nach der ersten Verhandlungsrunde Gebrauch machen.

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber sind gut beraten, wenn sie in den Vergabeunterlagen in jeder Hinsicht eindeutige Regelungen treffen. Dazu zählt nicht nur eine klare Bestimmung darüber, welche inhaltlichen Mindestanforderungen für die Angebote gelten (zwingend anzubietende Leistungsinhalte; Spielraum der Bieter), sondern auch darüber, ob etwaige Mindestanforderungen im Verhandlungsverfahren bereits für die Erstangebote, auf deren Basis dann verhandelt wird, gelten sollen. Verpflichtet ist der öffentliche Auftraggeber zur Aufstellung von Mindestanforderungen an die Erstangebote nicht. In vielen Fällen wird es sinnvoll sein, hierauf zu verzichten, um die Verhandlungen möglichst breit vorbereiten zu können und technisch und/oder kommerziell sinnvolle Lösungen nicht von vornherein einzuengen.

Bieter dagegen sollten die Vergabeunterlagen genau daraufhin durchsehen, welche Mindestanforderungen an die Erstangebote und die letztverbindlichen Angebote die Vergabeunterlagen vorsehen. Die geregelten Anforderungen sollten die Bieter ernstnehmen, um einem Angebotsausschluss vorzubeugen – auch dann, wenn die vom Auftraggeber aufgestellten Mindestanforderungen ihnen im Einzelfall technisch und/oder kommerziell nicht einleuchten. Es besteht zwar keine Verpflichtung des Auftraggebers zur Festsetzung von Mindestanforderungen an Erstangebote; wenn der Auftraggeber solche Mindestanforderungen an Erstangebote festlegt, sind diese aber für die Bieter verbindlich. Im Zweifelsfall sollten Bieter den Auftraggeber auf eine aus ihrer Sicht bestehende Problematik mittels Bieterfragen hinweisen.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Jan Christian Eggers.

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