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Außerordentliche Kündigung wegen Drohung mit einer Krankschreibung möglich

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Mai 2021 – 5 Sa 319/20

Die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Dennoch kann die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen.

Sachverhalt

Die beklagte Arbeitgeberin betreibt verschiedene Bäckereifilialen. Die Arbeitnehmerin war bei ihr seit rund zehn Jahren als Verkäuferin angestellt. Im Juni 2020 teilte die Filialleiterin die Arbeitnehmerin entgegen ihrem erklärtem Wunsch während einer Woche Ende Juli in die Spätschicht ein. Daraufhin drohte die Arbeitnehmerin mit einer Krankschreibung, sollte sie nicht in die Frühschicht eingeteilt werden. Als Grund gab sie u. a. anhaltende Spannungen mit ihren Mitarbeiterinnen an. Die Filialleiterin änderte den Dienstplan nicht. Kurz darauf reichte die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen einer „depressiven Episode“ für Anfang Juli sowie eine ordentliche Kündigung zum Ende Juli 2020 ein. Daraufhin erklärte die Arbeitgeberin die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Bezugnahme auf die angedrohte Krankschreibung. Hiergegen erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage.

Entscheidung

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die außerordentliche Kündigung unter Abwägung der wechselseitigen Interessen unverhältnismäßig gewesen. Die Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung und die damit zum Ausdruck gebrachte Bereitschaft, notfalls die Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz zu missbrauchen, stelle zwar eine erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht und somit einen die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigenden wichtigen Grund dar. Es komme auch nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer später (zufällig) tatsächlich erkranke. Vorliegend sei es der Arbeitgeberin unter Abwägung der wechselseitigen Interessen jedoch zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis noch rund einen Monat bis zum Datum der Eigenkündigung der Arbeitnehmerin fortzusetzen. Die Pflichtverletzung der Arbeitnehmerin sei – zumindest auch – eine spontane und unüberlegte Reaktion auf die schon länger schwelenden Spannungen zwischen den Mitarbeiterinnen gewesen, die der Arbeitgeberin auch bekannt gewesen seien. Wegen dieser – auch gesundheitlich belastenden – Spannungen habe die Arbeitnehmerin letztlich von sich aus ihr langjähriges und bis dahin ungestörtes Arbeitsverhältnis aufgegeben. Damit sei eine Lösung des Konflikts in greifbarer Nähe und eine Störung des Betriebsfriedens durch eine nochmalige Überreaktion nicht mehr zu befürchten gewesen.

Konsequenzen für die Praxis

Drohungen von Arbeitnehmern, im Falle eines nicht gewünschten Verhaltens des Arbeitgebers „krank zu sein“, sind in der Praxis keine Seltenheit. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts liegt auf der Linie der einschlägigen Rechtsprechung des BAG. Eine Drohung mit Krankschreibung kann eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich rechtfertigen. Dabei liegt die erhebliche Pflichtverletzung bereits in der Androhung des Arbeitnehmers. Auf eine spätere tatsächliche Erkrankung kommt es bei der rechtlichen Bewertung nicht an.

Praxishinweis

Arbeitgeber sollten jeden Fall einer Drohung mit Krankschreiben individuell prüfen und sich ggf. rechtlich beraten lassen, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Ob ein solches Verhalten eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, ist abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls, zu denen auch innerbetriebliche Konflikte gehören können. Im Falle des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung ist die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist zu beachten, die bereits mit der Androhung des „Krankmachens“ und nicht erst mit dem ersten Tag der tatsächlichen Krankschreibung zu laufen beginnt.

Nadine Radbruch

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Krankschreibung Außerordentliche Kündigung