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„Hätte hätte Fahrradkette“ – Schadensersatz bei Verstoß gegen das NachwG

„Hätte hätte Fahrradkette“ ist eine moderne Redewendung, deren Ursprung nicht ganz eindeutig ist, die aber in vielen Zusammenhängen verwendet wird. Die Redewendung bedeutet, dass eine falsche Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, obwohl sie am besten Rückgängig gemacht werden sollte. Bekannt und lustig ist auch die falsch angewendete Redewendung „Wäre wäre Fahrradkette“ im Zusammenhang mit einer Kommentierung eines Fussballspiels.

Liebe Leserin, lieber Leser,

nach dem „alten“ und nach dem „neuen“ Nachweisgesetz haben Arbeitgeber den Arbeitnehmer über bestimmte wesentliche Arbeitsbedingungen zu bestimmten Zeitpunkten am Beginn des Arbeitsverhältnisses formgemäß zu informieren. Nach dem „alten“ NachwG war ein Verstoß gegen die Nachweispflichten sanktionslos. Nach dem „neuen“ NachwG droht bei Verstößen ein Bußgeld. Nach altem und nach neuem NachwG können bei Verstößen jedoch Schadensersatzansprüche drohen. Das BAG (8. Senat) hat in der Entscheidung vom 22.09.2022 (8 AZR 4/21) hierzu Stellung genommen.

Der Schadensersatzanspruch

Arbeitgeber, die ihren Verpflichtungen nach § 2 Abs. 1 S.1 NachwG gegenüber ihren Arbeitnehmern nicht, nicht rechtzeitig oder sonst nicht ausreichend nachweisen und mit dem Nachweis über die wesentlichen Arbeitsbedingungen in Verzug kommen, haben den betroffenen Arbeitnehmern den dadurch adäquat-kausal verursachten Schaden zu ersetzen.

Nichtinformation über tarifliche Ausschlussfrist

Ein Arbeitnehmer war von 1996 bis 2016 bei einer Kirchengemeinde beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wurde auf die „Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in der jeweiligen Fassung Bezug genommen. In § 57 Abs. 1 KOVA ist eine Ausschlussfrist geregelt, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Mitarbeiter oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Dem Arbeitnehmer wurde die Ausschlussfrist nicht im Sinne des NachwG nachgewiesen.

Nach einer Änderung des Vergütungssystems im Jahr 2005 wurde der Arbeitnehmer fehlerhaft eingruppiert und erhielt von diesem Zeitpunkt an eine zu geringe Vergütung. Ende 2015 machte der Arbeitnehmer die Differenz zwischen der fälschlicherweise zu geringen Bruttomonatsvergütung und der ihm tatsächlich zustehenden Bruttomonatsvergütung für die letzten Jahre geltend. Der Arbeitgeber lehnte eine Nachzahlung ab und verwies auf die Ausschlussfrist des § 57 Abs. 1 KAVO. Der Arbeitnehmer ist der Ansicht, dass ihm ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe zustehe, da der Arbeitgeber ihm die Ausschlussfrist des § 57 Abs. 1 KAVO nicht nachgewiesen habe.

BAG (8. Senat), Urteil vom 22.09.2022 – 8 AZR 4/21

Das Arbeitsgericht wies die Zahlungsklage vollständig, das Landesarbeitsgericht ganz überwiegend ab. Das BAG wies die Revision des Klägers zurück. Das BAG ist der Ansicht, dass die Kirchengemeinde gegen ihre Nachweispflicht aus § 2 I 1 NachwG verstoßen habe. Kommt der Arbeitgeber mit seiner Verpflichtung aus dem Nachweisgesetz in Verzug, habe er dem Arbeitnehmer den dadurch adäquat-kausal verursachten Schaden zu ersetzen. Der Schadensersatzanspruch bestehe in Höhe des erloschenen Anspruchs, wenn dieser nur wegen der Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und er bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht untergegangen wäre.

Das BAG hat jedoch weiter entschieden, dass kein Anspruch auf Schadensersatz für die verfallenen Differenzvergütungsansprüche für die Zeit vor 2013 bestehen. Der Verstoß gegen das NachwG habe den Verfall der Entgeltansprüche nicht adäquat-kausal verursacht. Der Arbeitnehmer habe nicht ausreichend dargelegt, dass er bei Kenntnis der Ausschlussfrist seine Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht hätte. Da die Ansprüche selbst dem Arbeitnehmer nicht bekannt waren, hätte er diese auch bei Kenntnis der Ausschlussfrist nicht rechtzeitig geltend gemacht.
Hätte hätte Fahrradkette. Mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen

Ihr Dr. Erik Schmid

Dieser Blog ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Erik Schmid im Rehm-Verlag (www.rehm-verlag.de) erschienen.

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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Schadensersatzanspruch Nachweisgesetz NachwG

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