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Wer ist Mister X? Die anonyme Leistungsklage auf Durchführung eines Tarifvertrags

Bundesarbeitsgericht vom 13. Oktober 2021 - 4 AZR 403/20

Erhebt die Gewerkschaft Klage auf Durchführung eines Tarifvertrags, müssen die betroffenen Gewerkschaftsmitglieder (vorerst) nicht namentlich benannt werden. Das BAG hat erneut bestätigt, dass auch rein schuldrechtliche Verpflichtungen aus einem Tarifvertrag von einem Arbeitgeber erfüllt werden müssen. Dieser sogenannte Durchführungsanspruch kann von der Gewerkschaft im Wege einer Leistungsklage geltend gemacht werden, ist aber auf die beim Arbeitgeber beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft begrenzt.

Sachverhalt

Kern der Auseinandersetzung war der Streit zwischen dem Bayerischen Journalisten-Verband e.V. und dem Bayerischen Rundfunk über die Durchführung von Tarifverträgen. Arbeitgeber und Gewerkschaft hatten mehrere Haustarifverträge abgeschlossen, die auch Regelungen zur Vergütung von arbeitnehmerähnlichen Personen vorsahen. Grundlage für die Vergütung sollte dabei ein sogenannter Honorarrahmen im Bereich Fernsehen und Hörfunk sein. Im Dezember 2016 änderte der Arbeitgeber die Vergütungspraxis und vergütete arbeitnehmerähnliche Personen nicht mehr nach den vereinbarten Honorarkennziffern, sondern nach einer Tagespauschale. Darin sah die Gewerkschaft einen Verstoß gegen die tarifvertragliche Vereinbarung und verklagte den Arbeitgeber auf Durchführung der Tarifverträge (Anwendung der Honorarkennziffern) gegenüber allen arbeitnehmerähnlichen Personen, ohne diese namentlich in ihrem Antrag aufzuführen. In den ersten beiden Instanzen war die Gewerkschaft erfolglos. Die Klage wurde wegen fehlender Zulässigkeit abgewiesen, da der Klageantrag die Namen der betroffenen Personen nicht enthielt.

Entscheidung

Die Gewerkschaft gab nicht auf und hatte im Rahmen der Revision zumindest teilweise Erfolg. Das BAG war der Ansicht, dass der Arbeitgeber gegen seine tarifliche Durchführungsplicht verstoßen habe. Die Vergütung der Tagesreporter hat nach Ansicht des Gerichts nach den speziellen Honorarkennziffern, die im Tarifvertrag vereinbart wurden, zu erfolgen. Eine Abrechnung nach Tagespauschalen widerspricht der tariflichen Regelung. Die Einhaltung des Tarifvertrags ist für die Gewerkschaft einklagbar. Im Rahmen dieser Klage, die sich naturgemäß nur auf Gewerkschaftsmitglieder erstrecken kann, muss die Gewerkschaft dabei auch nicht offenlegen, auf welche beim Arbeitgeber beschäftigten Mitglieder sich die Klage bezieht. Die Gewerkschaft kann - und das ist das Besondere an der Entscheidung - zunächst ohne namentliche Nennung, also anonym, die Rechte ihrer Mitglieder geltend machen. Der Arbeitgeber erfährt auf diesem Weg also nicht, wer Gewerkschaftsmitglied ist. Für die Zulässigkeit des Klageantrags sei es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht erforderlich gewesen, die betroffenen Gewerkschaftsmitglieder bereits im Erkenntnisverfahren namentlich zu benennen.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung ist vor allem aus prozessualem Blickwinkel von besonderer Bedeutung, da der Durchführungsanspruch selbst schon lange anerkannt ist. Weil die Gewerkschaft in ihrem Klageantrag die Gewerkschaftsmitglieder nicht namentlich bezeichnete, hatten die Vorinstanzen die Klage bereits wegen eines Verstoßes gegen § 253 Abs. 2 der Zivilprozessordnung für unzulässig gehalten. Die Vorschrift bezweckt, dass der Schuldner im Falle der Verurteilung ohne weiteres erkennen kann, durch welche Verhaltensweise er dem Urteilsspruch nachkommen kann. Dies entspricht schon lange der Rechtsprechung des BAG. Eben diese Voraussetzung sahen das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht München als nicht gegeben an, weil in der Klage nur abstrakt von "Mitgliedern der Gewerkschaft" gesprochen wurde. Der Arbeitgeber wusste also aus Sicht der Vorinstanzen nicht, was er konkret zu tun hatte. Die Anforderungen an die Bestimmtheit wurden vom BAG gelockert und es ist für Gewerkschaften nun möglich, die Anwendung eines Haustarifvertrags einzuklagen, auch wenn sich aus dem Urteil die Namen der unter dem Tarifvertrag fallenden Mitarbeiter nicht ergeben. So wie der Arbeitgeber nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen darf, muss eine Gewerkschaft die Namen ihrer Mitglieder bei einer solchen Leistungsklage nicht offenlegen.

Praxistipp

Arbeitgeber, die mit Durchführungsklagen von Gewerkschaften konfrontiert sind, verlieren durch die Entscheidung des BAG einen prozessualen Einwand gegen die Zulässigkeit der Klage. Allerdings geht offenbar auch das BAG davon aus, dass früher oder später die Namen der Mitarbeiter gegenüber dem beklagten Arbeitgeber offengelegt werden müssen. Aus der Tatsache, dass ein Durchführungsanspruch für die Gewerkschaft bejaht wird, ergeben sich noch keine Zahlungsansprüche der einzelnen Mitglieder. Arbeitnehmer, die sich beispielsweise auf für sie günstigere Regelungen hinsichtlich der Vergütung berufen, müssen früher oder später eben doch offenlegen, dass sie als Gewerkschaftsmitglied der Bindung des Tarifvertrags unterfallen.

Martin Biebl

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Leistungsklage Tarifvertrag Gewerkschaft