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BGH präzisiert Rechtsprechung zum Erlass von Schiedssprüchen ohne Mitwirkung aller zur Entscheidung berufenen Schiedsrichter und zur Besorgnis der Befangenheit

Der 1. Senat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2023 einen interessanten Beschluss zu zwei Fragen im Aufhebungsverfahren gefasst (Az: I ZB 41/22). Er hat die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schiedsrichter seine Teilnahme an der Abstimmung über die Entscheidung im Schiedsverfahren verweigert und die übrigen Schiedsrichter nach § 1052 Abs. 2 S. 1 ZPO ohne diesen entscheiden und den Schiedsspruch zu zweit absetzen können, präzisiert. Zugleich nahm der Senat dazu Stellung, wann eine Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Befangenheit eines Schiedsrichters bei einem Antrag nach Erlass desselben in Betracht kommt.

Der Beschluss vom 12. Januar 2023 erging im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens gegen einen Schiedsspruch aus dem Jahr 2019. Dieser Schiedsspruch beendete ein Schiedsverfahren über Zahlungsansprüche infolge des Ausscheidens eines Gesellschafters aus einer zahnärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft. Der Schiedsspruch erging ohne die Mitwirkung eines der drei Schiedsrichter. Dieser – ein juristischer Laie - hielt das Verfahren für noch nicht entscheidungsreif. Das Schiedsgericht müsse weiteren Beweis aufnehmen. Deshalb verweigerte der Schiedsrichter seine Teilnahme an der Abstimmung über die Entscheidung. Dies rügte der Schiedskläger und Antragsteller im Aufhebungsverfahren. Weiter rügte er, dass einer der Schiedsrichter befangen gewesen sei. Das Oberlandesgericht Hamm hatte den Aufhebungsantrag des Antragstellers zunächst zurückgewiesen und den Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt.

Grundsätzlich müssen bei einem Schiedsspruch, an dem ein Schiedsrichter nicht mitwirkt, die Voraussetzungen des § 1052 Abs. 2 S. 1 ZPO erfüllt sein. Danach können die übrigen Schiedsrichter allein entscheiden, wenn ein Schiedsrichter die Teilnahme an der Abstimmung verweigert. Ein Schiedsspruch, der entgegen § 1052 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht von allen Schiedsrichtern erlassen wurde, kann nach § 1059 Abs. 1 Nr. 1 lit. d ZPO aufgehoben werden, wenn anzunehmen ist, dass dieser (Verfahrens-) Fehler sich auf den Schiedsspruch ausgewirkt hat.

An die Ursächlichkeit eines solchen Verfahrensfehlers für den Schiedsspruch sind nach allgemeiner Ansicht keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt bereits die Möglichkeit, dass das Schiedsgericht ohne den Verfahrensfehler anders entschieden hätte. Für den Fall, dass ein mit Erfolg abgelehnter Schiedsrichter am Schiedsspruch mitgewirkt hat, ist die Ursächlichkeit niemals auszuschließen. Gleiches gilt nach dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch für den Fall, dass ein Schiedsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen des § 1052 Abs. 2 S. 1 ZPO vorliegen und dass damit eine Entscheidung getroffen hat, ohne dass ein zur Entscheidung berufener Schiedsrichter mitgewirkt hat. Es sei immer möglich, dass das Verhalten eines Schiedsrichters bei der Beratung und Abstimmung die Meinungsbildung und das Abstimmungsverhalten der anderen Schiedsrichter beeinflusse. Ursächlichkeit sei daher anzunehmen.

Vorliegend hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden, ob ein Schiedsrichter die Abstimmung bereits dann im Sinne von § 1052 Abs. 2 S. 1 ZPO verweigert, wenn er das Verfahren für nicht entscheidungsreif hält und dies so den anderen Schiedsrichtern mitteilt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs liegt eine Verweigerung dann vor, wenn der Schiedsrichter ohne zwingenden Grund nicht an der Abstimmung teilnimmt. Bei verfahrensfremden Motiven sei dies stets anzunehmen. Seien die Schiedsrichter über die Entscheidungsreife uneins, sei erforderlich, dass das Schiedsgericht zuerst – ggf. ohne Mitwirkung des betroffenen Schiedsrichters – über die Entscheidungsreife abstimmt und diese mehrheitlich für gegeben halte. Erst wenn der Schiedsrichter sich danach weigere, an der Entscheidung mitzuwirken, lägen die Voraussetzungen für die alleinige Entscheidung der zwei verbliebenen Schiedsrichter vor. Im Verfahren vor staatlichen Gerichten käme eine Nachprüfung der Entscheidungsreife gemäß dem Verbot der révision au fond regelmäßig nicht in Betracht. Die Ankündigung eines Schiedsrichters ohne juristische Ausbildung, sich rechtlichen Rat einholen zu wollen, sei kein verfahrensfremdes Motiv. Da das Oberlandesgericht Hamm zum Vorliegen einer Abstimmung innerhalb des Schiedsgerichts über die Entscheidungsreife keine Feststellungen getroffen hatte, hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Oberlandesgericht Hamm zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Die Ablehnung eines Schiedsrichters wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 1036 Abs. 2 ZPO ist grundsätzlich - auch bei nachträglich bekannt gewordenen Befangenheitsgründen - nur bis zum Erlass des Schiedsspruchs möglich und kann im Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden. Der Bundesgerichtshof bestätigt nun seine Rechtsprechung, dass eine Ablehnung nach Erlass des Schiedsspruchs zulässig ist, wenn der Schiedsrichter gegen seine Pflicht zur Offenlegung verstoßen hat und den Parteien dadurch die Möglichkeit genommen wurde, bereits während des Schiedsverfahrens einen Aufhebungsantrag zu stellen. Im Aufhebungs- oder Vollstreckungserklärungsverfahren sei sodann zu prüfen, ob die zu offenbarenden Tatsachen für eine Ablehnung ausgereicht hätten.

Die Aufhebung eines Schiedsspruchs erfolge nach § 1059 Abs. 2 ZPO aufgrund eines Verfahrensfehlers oder - falls das Gebot überparteilicher Rechtspflege betroffen ist – wegen eines Verstoßes gegen den ordre public. Die Aufhebung sei auf besonders schwerwiegende und eindeutige Ablehnungsgründe beschränkt. Diese müssten auf einen Zeitpunkt vor Erlass des Schiedsspruchs zurückreichen und sich auf diesen auswirken können. Ablehnungsgründe könnten zudem regelmäßig nicht mehr geltend gemacht werden, wenn diese zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruchs nach § 1037 ZPO ausgeschlossen oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung als nicht durchgreifend erklärt worden seien.

Obwohl bereits während des Schiedsverfahrens Gesichtspunkte vorlagen, die gegen die Neutralität des Schiedsrichters sprachen, hatte der Antragsteller im Schiedsverfahren nicht hinreichend bestimmt und konkret zum Ausdruck gebracht, ein Ablehnungsverfahren wegen Befangenheit gegen diesen Schiedsrichter einleiten zu wollen. Der Antragsteller forderte diesen Schiedsrichter lediglich auf, sich für befangen zu erklären. Dies reicht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht aus, um auszudrücken, dass ein Ablehnungsverfahren eingeleitet werden sollte. Zudem habe der betroffene Schiedsrichter nicht seine Offenbarungspflicht verletzt. Damit konnte der Antragsteller nach Erlass des Schiedsspruchs seinen Aufhebungsantrag nicht darauf stützen, dass Ablehnungsgründe gegen einen der drei Schiedsrichter vorgelegen hätten.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist sowohl für Schiedsrichter als auch für Parteien eines Schiedsverfahrens von Bedeutung. Schiedsrichter sollten, wenn sie sich über die Entscheidungsreife uneins sind, hierüber abstimmen und das Ergebnis klar dokumentieren. Es ist zu empfehlen, diesen Grundsatz auch auf andere Unstimmigkeiten im Schiedsgericht auszudehnen, wenn droht, dass ein Schiedsrichter die Mitarbeit einstellt. Sofern Parteien eines Schiedsverfahrens im Schiedsverfahren Anhaltspunkte für die Befangenheit eines Schiedsrichters haben, sollten sie gegen diesen ein Ablehnungsverfahren nach §§ 1036 und 1037 ZPO bzw. den entsprechenden institutionellen Regeln einleiten. Die bloße Aufforderung an einen Schiedsrichter sich für befangen zu erklären, entspricht dabei nicht den Anforderungen an einen Ablehnungsantrag.

Dr. Ralf Hafner
Tobias Pörnbacher

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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