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Tariffähigkeit der DHV: Aus, aus, endgültig aus…! Oder etwa doch nicht?

München, 21. Juni 2021 – Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entscheidet am morgigen Dienstag, ob die „DHV-Die Berufsgewerkschaft e.V.“ (DHV) tariffähig ist (Aktenzeichen: 1 ABR 28/20).

Die DHV ist eine im Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschland (CGB) organisierte Arbeitnehmervereinigung. Sie wurde nach ihrer Gründung 1893 im Jahr 1950 als Gewerkschaft der Kaufmannsgehilfen neu gegründet. Nach ihrer 1972 geltenden Satzung verstand sie sich als eine Gewerkschaft der Angestellten* im Handel, in der Industrie und dem privaten und öffentlichen Dienstleistungsbereich, seit 2002 als eine Gewerkschaft der Arbeitnehmer in Bereichen, die durch kaufmännische und verwaltende Berufe geprägt sind. In der Folge mehrfacher, teilweise unwirksamer Satzungsänderungen erstreckt sich die von ihr zuletzt beanspruchte Zuständigkeit auf Arbeitnehmer in diversen Bereichen, u.a. private Banken und Bausparkassen, Einzelhandelsgeschäfte, Binnengroßhandel, Rettungsdienste, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz, Fleischwarenindustrie, Reiseveranstalter sowie IT-Dienstleistungsunternehmen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte.

Die Antragsteller (u.a. IG Metall, ver.di, NGG) machen geltend, der DHV fehle die erforderliche Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit für eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung. Nach der Satzung erstrecke sich der Organisations- (=Zuständigkeits)bereich auf ca. 11,4 Millionen Beschäftigungsverhältnisse. Es sei aber von höchstens 10.000 Mitgliedern auszugehen, was zu einem Organisationsgrad von unter 0,1 Prozent führe. Die DHV hat u.a. entgegnet, ihr Organisationsbereich erfasse nur ca. 7,01 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, sie verfüge jedoch über weit mehr als 10.000 Mitglieder; Ende Dezember 2014 seien es 75.065 Mitglieder gewesen. Ihre organisatorische Leistungsfähigkeit könne aus der langjährigen Teilnahme am Tarifgeschehen geschlossen werden. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass ihre Tariffähigkeit bereits in den Jahren 1956 und 1997 in zwei arbeitsgerichtlichen Verfahren erfolglos in Frage gestellt wurde. Dem vorliegenden Antrag stehe die Rechtskraft dieser vorangegangenen Entscheidungen entgegen. Es folge auch aus zwischenzeitlich erfolgten Satzungsänderungen nichts Anderes.

Das Verfahren, mit dem die Antragsteller die Tarifunfähigkeit der DHV festgestellt haben möchten, war bereits Gegenstand der Entscheidung des BAG vom 26. Juni 2018 (Aktenzeichen: 1 ABR 37/16). Das Gericht hatte die antragsabweisende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das LAG war zu Unrecht von einer Absenkung der Anforderungen an die Durchsetzungs- und Leistungsfähigkeit der DHV im Hinblick auf das Mindestlohn- und das Tarifeinheitsgesetz ausgegangen. Die DHV konnte ihre soziale Mächtigkeit nicht auf ihre langjährige Teilnahme am Tarifgeschehen stützen. Sie hatte teilweise Tarifverträge außerhalb ihres Organisationsbereichs und zudem in wechselnden Zuständigkeiten geschlossen. Das BAG hatte auf Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend über den Feststellungsantrag befinden können und hatte daher die Sache zur weiteren Sachaufklärung – vor allem über die Mitgliederzahl der DHV und darauf bezogener Organisationsgrade – zurückverwiesen. Das LAG hat daraufhin nach erneuter Anhörung der Beteiligten festgestellt, dass die DHV seit dem 21. April 2015 nicht tariffähig sei. Dagegen wehrt sich die DHV.

„Da die DHV durch ihre Satzungsänderungen und die damit verbundene Erweiterung ihrer Tarifzuständigkeit den durch die Rechtskraft früherer Entscheidungen bzgl. ihrer Tariffähigkeit vermittelten Schutz aufs Spiel gesetzt hat, ist eher damit zu rechnen, dass die DHV das Verfahren am Ende verlieren wird“, sagt Dr. Wolfgang Lipinski, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft am Standort München. „Entscheidend für die Praxis wird allerdings auch der Stichtag sein, zu dem keine Tariffähigkeit mehr bestand. Aber auch, wenn dieser feststeht, ergeben sich eine Reihe weiterer Fragen. Dies betrifft u.a. einschlägige Arbeitsverträge im Hinblick auf die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft: Was gilt nun? Hierbei ist zu beachten, dass jeder Fall anders gelagert sein kann. Egal, wie das Verfahren ausgeht: Arbeitgeber sind gut beraten, einschlägige Verträge von einem Spezialisten auf 'Herz und Nieren' prüfen zu lassen und sich ihre zukünftige Tarifstrategie gut zu überlegen“, so der Anwalt.

„Sollte das BAG der DHV die Gewerkschaftseigenschaft absprechen, führt dies in der Praxis letztlich faktisch zu einem gewissen 'closed shop' zu Gunsten insbesondere der etablierten DGB-Gewerkschaften“, so Lipinski weiter. „Diesen 'closed shop' können kleinere Arbeitnehmervereinigungen aber – auch unter Zugrundelegung der überzogenen Rechtsprechung des BAG an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung – selbst aufbrechen, wenn sie ihren selbst gewählten Zuständigkeitsbereich unter realistischer Einschätzung ihrer eigenen Durchsetzungskraft und organisatorischen Leistungsfähigkeit begrenzen. Dass dieser Weg nicht unmöglich ist, haben zahlreiche Spartengewerkschaften wie Cockpit, der Marburger Bund oder die GDL in der Vergangenheit bewiesen. Zudem können sich aus der zunehmenden Digitalisierung und der u.a. aufgrund der Corona-Pandemie erforderlichen Anpassung von Geschäftsmodellen durch die Unternehmen jedenfalls mittelfristig Chancen für kleinere Arbeitnehmervereinigungen ergeben, denn selbst etablierte Gewerkschaften wie ver.di haben nicht in jedem Dienstleistungssektor gleichermaßen viele Mitglieder.“

Dr. Wolfgang Lipinski ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft. Er leitet dort die Praxisgruppe Arbeitsrecht mit ca. 60 Anwältinnen und Anwälten. Gerne steht er Ihnen für ein Interview oder Gastbeiträge zur Verfügung.

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Dr. Wolfgang Lipinski
Tel.: +49 89 35 065 1133
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