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Bundesverfassungsgericht erklärt Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit 6% jährlich für verfassungswidrig

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Zinsen für Steuernachforderungen und -erstattungen war lange erwartet worden. Deswegen wurden Zinsfestsetzungen mit dem Zinssatz nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 2. Mai 2019 (BMF, BStBl. I S. 448) häufig bereits nur noch vorläufig durchgeführt.

Unvereinbarkeit der Regelung mit dem Grundgesetz für Zinsläufe ab 2014, Unanwendbarkeit allerdings erst ab 2019

Nach § 233a i.V.m. § 238 Abs.1 S.1 AO sind Steuernachforderungen und Steuererstattungen nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von 15 Monaten ab Entstehung der Steuer mit 0,5 % pro Monat zu verzinsen. Die Verzinsung soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Insoweit wurde ein pauschalierter Marktzins zugrunde gelegt.

Die streitige Norm (§ 233a AO) zur Vollverzinsung war ursprünglich durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 eingeführt worden. Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase infolge der Finanzkrise von 2008 hat das Bundesverfassungsgericht nun den Zinssatz von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz für unvereinbar erklärt. Der Zinssatz erweise sich aufgrund der veränderten tatsächlichen Bedingungen spätestens im Jahr 2014 als realitätsfern. Für den Zeitraum bis 2014 sieht das Gericht den Zinssatz hingegen noch als verfassungskonform an.

Für Verzinsungszeiträume bis zum Ende des Jahres 2018 ist das geltende Recht ist allerdings weiter anwendbar. Begründet wurde die Fortgeltung für Verzinsungszeiträume vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018 insbesondere mit den erheblichen haushaltswirtschaftlichen Unsicherheiten einer rückwirkenden Neuregelung. Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und Folgejahre fallen, ordnete das Gericht hingegen die Unanwendbarkeit des § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO an. Die Gefahren für die verlässliche Finanz- und Haushaltsplanung von Bund, Ländern und Kommunen seien für Verzinsungszeiträume nach 2018 ungleich geringer. Das Gericht verpflichtete den Gesetzgeber, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

Zu beachten ist, dass die Entscheidung des Gerichts sich ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung zulasten der Steuerpflichtigen, wie Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen erstreckt. Diesbezüglich bedarf es einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung, da die Verwirklichung des Zinstatbestands auf einen Antrag des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist, bzw. von ihm bewusst in Kauf genommen wird. Außerdem dient die Verzinsung in diesen Fällen nicht nur dem Ausgleich etwaiger Zinsvor- und -nachteile, sondern soll auch lenkende Wirkung haben.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen für die Praxis, da insbesondere bei Betriebsprüfungen häufig bis zur endgültigen Festsetzung der Steuer viel Zeit vergeht. Für den Veranlagungszeitraum 2019 hat der Zinslauf auf Grund der Erleichterungen im Rahmen der Corona-Pandemie noch nicht begonnen. Das Bundesverfassungsgericht hat explizit klargestellt, dass es nicht seine Aufgabe sei, über die Gestaltungsform oder die Höhe des Zinssatzes zu entscheiden. Insoweit bleibt es abzuwarten für welche Verzinsungsart und -höhe sich der Gesetzgeber nach der Bundestagwahl entscheidet.

Dr. Marion Frotscher
Simon Bauer

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Steuerrecht Bundesverfassungsgericht Steuererstattung

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