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Im Zeichen der Nachhaltigkeit – Produktregulierung durch die Ökodesign-Verordnung

Mit der Ökodesign-Verordnung hat der Europäische Gesetzgeber kurz vor dem Ablauf der aktuellen Legislaturperiode einen zentralen Baustein seiner "green deal"-Strategie auf den Weg gebracht. Im Mittelpunkt stehen dabei erhöhte Anforderungen an nachhaltiges Produktdesign. Daneben soll mit dem digitalen Produktpass eine leicht zugängliche Informationsquelle für Verbraucher geschaffen werden. Auch die verbreitete Praxis, unverkaufte Ware zu vernichten, soll Einschränkungen erfahren. Was all dies für Hersteller, Händler und sonstige Glieder der Liefer- und Wertschöpfungskette bedeutet, beleuchtet der nachfolgende Beitrag.

Klimaziele und Ressourcenunabhängigkeit

Im Rahmen ihrer "green deal"-Strategie hat die Europäische Kommission das ehrgeizige Ziel ausgerufen, die CO2-Emissionen der EU bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu reduzieren und die Union bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll der gesamte Lebenszyklus der in der Union in den Verkehr gebrachten Produkte ressourcenschonend und kreislauforientiert ausgerichtet werden. Hierzu soll die Ökodesign-Verordnung, auf deren endgültige Fassung sich Europäisches Parlament und Rat am 27. Mai 2024 geeinigt haben, einen zentralen Beitrag leisten. Die Verordnung zielt auf eine nachhaltigere Produktgestaltung ab und schafft einen Rechtsrahmen für die Festlegung verbindlicher Ökodesign-Anforderungen. Hierunter fallen etwa Anforderungen an die Reparierbarkeit, Wiederverwendbarkeit und Recyclingfähigkeit sowie die Energie- und Ressourceneffizienz. Anders als der Vorgängerrechtsakt, die Ökodesign-Richtlinie, beschränkt sich die Verordnung dabei nicht auf einzelne Produktgruppen. Vielmehr sind abgesehen von Lebensmitteln, Arzneimitteln und bestimmten Fahrzeugen alle Produkttypen vom Anwendungsbereich umfasst, einschließlich einzelner Bauteile und Zwischenprodukte wie Zement und Stahl. Von diesem holistischen Regulierungsansatz erhofft sich die Kommission neben Treibhausgaseinsparungen einen Beitrag zur Verringerung der Abhängigkeit von außereuropäischen Rohstoffimporten.

Festlegung von Ökodesign-Anforderungen

Welche Anforderungen die verschiedenen Produktgruppen im Einzelnen zu erfüllen haben, regelt die Verordnung nicht selbst. Vielmehr schafft die Ökodesign-Verordnung hierfür einen Regulierungsrahmen, indem sie die Europäische Kommission ermächtigt, produktgruppenspezifische Designanforderungen durch delegierte Rechtsakte zu erlassen. Auf diese Weise soll eine dynamische und fachlich versierte Regulierung gewährleistet sein. Die Verordnung legt dazu in Art. 5 Abs. 1 übergeordnete Zielkategorien fest (sog. Produktaspekte). Hierzu zählt etwa die Recyclingfähigkeit, die Reparierbarkeit, der Anteil recycelter Materialien, das Vorhandensein besorgniserregender Stoffe, die Menge des entstehenden Abfalls sowie der allgemeine CO2- und Umweltabdruck. Für jede dieser Zielkategorien listet die Verordnung im Anhang I Indikatoren auf, anhand derer die zum Erreichen der erwünschten Produktaspekte erforderlichen Designanforderungen quantitativ und qualitativ umschrieben werden können. Diese Auflistung dient der Kommission gewissermaßen als Werkzeugkasten, aus dem sie die je nach Produktgruppe relevanten Stellschrauben auszuwählen hat. Legt die Kommission für eine bestimmte Produktgruppe etwa als Zielkategorie die einfache Reparatur und Wartung fest, kann sie die einzuhaltenden Designanforderungen in Gestalt von quantitativen Parametern wie der Anzahl der verwendeten Bauteile und/oder qualitativen Leistungsmerkmalen wie der Kompatibilität mit allgemein verfügbaren Werkzeugen definieren.

Verfahren

Der Festlegung der Designanforderungen hat für jede Produktgruppe eine technische, wirtschaftliche und ökologische Analyse vorauszugehen, in die eine Reihe marktgängiger Modelle einzubeziehen ist. Da ein solches Verfahren zeit- und ressourcenintensiv sein kann, hat die Kommission Produktgruppen zu priorisieren, bei denen das Einspar- und Effizienzsteigerungspotenzial als besonders hoch angesehen wird. Um den Beteiligten der Lieferkette im Hinblick auf die bevorstehende Regulierung Planungssicherheit zu geben, hat die Kommission die priorisierten Produktgruppen in einem öffentlich zugänglichen Arbeitsplan zu listen, der u.a. Angaben zum voraussichtlichen Zeitplan und zu den jeweils einschlägigen Zielkategorien enthalten soll. Der erste Arbeitsplan dieser Art soll gem. Art. 18 Abs. 5 der Verordnung binnen 9 Monaten nach deren Inkrafttreten aufgestellt werden und folgende Produktgruppen vorrangig berücksichtigen:

  • Eisen und Stahl
  • Aluminium
  • Textilien (insb. Bekleidung und Schuhwerk)
  • Möbel (einschließlich Matratzen)
  • Reifen
  • Waschmittel
  • Anstrichmittel
  • Schmierstoffe
  • Chemikalien
  • bestimmte energieverbrauchsrelevante Produkte
  • Elektronikgeräte (insb. Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie)
  • Zement (hierfür gelten bestimmte Einschränkungen)

Bei der Erstellung der Arbeitspläne sowie der Ausarbeitung der Ökodesign-Anforderungen wird die Kommission von einer Sachverständigengruppe, dem sog. Ökodesign-Forum, beraten. Das Konsultationsgremium soll dabei nicht nur ein hohes Maß an fachlicher Expertise sicherstellen, sondern den interessierten Kreisen – einschließlich Industrievertretern, Wissenschaft und Umweltorganisationen – auch als Forum für einen praxisnahen Meinungsaustausch dienen. Zudem können Wirtschaftsteilnehmer der Kommission im Hinblick auf Produkte bzw. Produktgruppen, die noch nicht im Arbeitsplan abgebildet sind, Selbstregulierungsmaßnahmen zur Festlegung von Ökodesign-Anforderungen unterbreiten und auf diese Weise frühzeitig einheitliche Standards etablieren.

Pflichtenadressaten

Die Ökodesign-Verordnung adressiert die gesamte Lieferkette, wobei die Produkthersteller vorrangig in die Pflicht genommen werden. Sie dürfen ihre Produkte gem. Art. 27 Abs. 2 der Verordnung erst in den Verkehr bringen, nachdem die Einhaltung der Ökodesign-Anforderungen durch ein im delegierten Rechtsakt näher bestimmtes Prüf- und Messverfahren (sog. Konformitätsbewertungsverfahren) bestätigt wurde. Entspricht das Produkt den Anforderungen, haben die Hersteller eine sog. EU-Konformitätserklärung abzugeben. Zudem erhalten die Produkte eine sog. CE-Kennzeichnung, anhand derer die Konformität mit den Ökodesign-Anforderungen für die Konsumenten gut sichtbar zu erkennen sein soll.

Neben den Herstellern wird auch den nachfolgenden Gliedern der Lieferkette Verantwortung für die Einhaltung der Design-, Kennzeichnungs- und Informationspflichten übertragen. So haben Importeure sicherzustellen, dass die Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt haben, bevor sie ihrerseits die Ware in den Verkehr bringen. Ebenso wie Vertreiber und Händler haben Importeure zudem die ordnungsgemäße Etikettierung und die Erfüllung der sogleich erläuterten Informationspflichten zu überprüfen. Bei Verstößen drohen empfindliche Sanktionen. Die aus der Verordnung erwachsenden Verpflichtungen sollen zudem klageweise durch Verbraucherverbände durchgesetzt werden können.

Digitaler Produktpass

Um den Konsumenten bewusstere Kaufentscheidungen zu ermöglichen, werden die Designanforderungen künftig von zusätzlichen Informationspflichten flankiert, die von der Kommission ebenso wie die Leistungsanforderungen durch delegierten Rechtsakt konkretisiert werden. Die Informationspflicht kann sich insbesondere auf die je nach Produktgruppe einschlägigen Nachhaltigkeitsindikatoren beziehen, einschließlich eines Reparierbarkeits- und Beständigkeits-Scores und eines CO2- oder Umweltfußabdrucks. Für diese Parameter kann die Kommission verschiedene Leistungsklassen festlegen. Weitere Informationen können u.a. in Bezug auf Reparatur, Wartung, Recycling, Entsorgung, die Verwendung besorgniserregender Stoffe und die Umweltauswirkungen des Produkts erforderlich sein. Für alle erfassten Produkte wird überdies ein sog. digitaler Produktpass obligatorisch, in dem die für die Verbraucher relevanten Informationen in digital abrufbarer Form gebündelt werden sollen. Hierfür sind – wie oben erläutert – neben dem Hersteller auch die weiteren Glieder der Lieferkette verantwortlich.

Verbot der Vernichtung unverkaufter Ware

Als erhebliche und zugleich vermeidbare Quelle negativer Umweltauswirkungen hat der Europäische Gesetzgeber die Vernichtung unverkaufter Warenbestände identifiziert. Dieser Praxis schiebt die Verordnung mit einem Vernichtungsverbot für bestimmte Produktgruppen nunmehr einen Riegel vor. Hiervon sind ab Mitte 2026 zunächst Kleidungsstücke und Schuhe betroffen. Eine Ausnahme gilt lediglich für Kleinst- und Kleinunternehmen. Mittlere Unternehmen haben bis Mitte 2030 Zeit, bevor das Verbot für sie verbindlich wird. Die Europäische Kommission kann die Liste der Produktgruppen, für die das Verbot gilt, durch delegierten Rechtsakt erweitern, wobei auch insoweit der zu veröffentlichende Arbeitsplan Planungssicherheit schaffen soll. Hinsichtlich des ersten Arbeitsplans gibt die Verordnung der Kommission auf, insbesondere die Erstreckung des Vernichtungsverbots auf Elektrogeräte zu prüfen. Auch bestimmte Verbotsausnahmen sollen durch die Kommission vorgesehen werden können.

Ausblick

Durch die Ökodesign-Verordnung wird die Wertschöpfungs- und Lieferkette mehr denn je in die Verantwortung genommen. Hersteller, Importeure, Vertreiber und Händler sollten sich angesichts der erforderlichen Umstellungsprozesse frühzeitig und fortlaufend mit den für sie relevanten Anforderungen vertraut machen. Insoweit wird der erste Arbeitsplan der Kommission aufmerksam zu prüfen sein, dessen Erscheinen spätestens im zweiten Quartal 2025 zu erwarten ist. Hieraus werden sich vor allem für die priorisierten Produktgruppen wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Designanforderungen und des weiteren Zeitplans ableiten lassen. Der erste delegierte Rechtsakt darf nicht früher als 12 Monate nach dem Inkrafttreten der Ökodesign-Verordnung erlassen werden, sodass frühestens im dritten Quartal 2025 mit ihm zu rechnen ist. Nach dem Erlass verbleiben den betroffenen Unternehmen mindestens weitere 18 Monate bis der Rechtsakt für sie verbindlich wird. Für kleine und mittlere Unternehmen können längere Fristen und bestimmte Erleichterungen gelten. Wenngleich demnach eine Detailregelung der einzelnen Produktgruppen noch aussteht, sollte die Verabschiedung der Ökodesign-Verordnung für die Beteiligten der Lieferkette Anlass bieten, sich eingängig mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, die mit einer an Nachhaltigkeitszielen orientierten Produktregulierung einhergehen können.

Prof. Dr. Rainer Bierwagen
Angelika Kapfer
Simone Schmatz

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

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